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Vom Sparappell bis zur Abschaltung von Stromnetzen

29.09.2022 Stefan Aeschi, Dipl. Architekt ETH/SIA DAS Wirtschaft FH Experte Bau- und Energietechnik

Ausgehend von den Szenarien der Strom- und Gasmangellage handelt dieser Beitrag vom Eskalationsmodell des Bundes und den damit verbundenen Massnahmen zur Stärkung der Versorgungssicherheit.

Der Bundesrat will die Versorgungssicherheit im Energiebereich mit Blick auf den kommenden Winter erhöhen. Ein erster Schritt ist die gemeinsame Kampagne des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sowie des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Der Energieverbrauch soll auf freiwilliger Basis schnell und spürbar reduziert werden. Dazu braucht es das sofortige und gemeinsame Engagement der Bevölkerung, der Wirtschaft und der öffentlichen Hand. Auf politischer Ebene wurde durch das UVEK ein Massnahmenkatalog mit kurz-, mittel- und längerfristigen Aktivitäten erarbeitet:

Kurzfristige Handlungsfelder:

  • Vorgezogener Vollzug von Massnahmen gemäss «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» auf dem Verordnungsweg, Inkraftsetzung per 1.10.2022;
  • Unterstützung von Reservekraftwerken als zusätzliche Absicherungslösung;
  • Verpflichtung der Gasbranche, Speicherkapazitäten in Nachbarländern und Optionen für zusätzliche Gaslieferungen zu sichern;
  • Solidaritätsabkommen mit Deutschland. Gespräche laufen auch mit Frankreich und Italien. Mittel- und längerfristige Handlungsfelder:
  • Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien;
  • Erzeugung von mehr einheimischer erneuerbarer Energie;
  • Wasserkraft-Reserven für Notsituationen;
  • mehr Mittel für Speicherkraftwerke;
  • Beschleunigung und Bündelung der Verfahren von Wind- oder Wasserkraftprojekten.

Eskalationsmodell des Bundes bei drohender Energiemangellage

Grundsätzlich unterstützt der HEV Schweiz das in vier Stufen gegliederte Eskalationsmodell des Bundes und hat sich aktiv in die Konsultation zu den Massnahmen bei einer Gasmangellage eingebracht. Diese Verordnungsentwürfe werden erst im Fall einer schweren Mangellage in Kraft gesetzt und müssen dann unter Berücksichtigung der aktuellen Lage angepasst werden.

1. Verbrauch über freiwillige Sparappelle senken (Stromspareffekt ca. 5 %)

Von freiwilligen Sparmassnahmen in Mietshäusern durch die Vermieter bzw. Eigentümer rät der HEV Schweiz aus rechtlichen Gründen klar ab. Solange keine verbindliche Rechtsgrundlage gegeben ist, könnte sonst ein Mangel am Mietobjekt geltend gemacht werden. Selbstverständlich sind aber auch die Mieter dazu eingeladen, ihren persönlichen Energiekonsum eigenverantwortlich einzuschränken. Sie unterstützen damit nicht nur die Sparanstrengungen, sondern reduzieren gleichzeitig ihre Wohnnebenkosten.

2. Verbrauchseinschränkungen oder Verbote bei Nutzung bestimmter elektrischer Anwendungen (Stromspareffekt ca. 10 %)

Der HEV Schweiz unterstützt zielführende Verbrauchseinschränkungen oder Verbote, selbst wenn in einer weiteren Eskalationsstufe auch Privathaushalte betroffen sein können. Es braucht aber klare und verbindliche Bundesvorgaben, die für Rechtssicherheit im Eskalationsfall sorgen.

3. Kontingentierung von Grossverbrauchern (Stromspareffekt ca. 10 – 30 %)

Die Kontingentierung richtet sich an Grossverbraucher aus Gewerbe und Industrie. Wohngebäude bzw. Haushalte sind hiervon nicht betroffen.

4. Rollierende Abschaltung von Stromnetzen (Stromspareffekt max. 50 %)

Der HEV Schweiz unterstützt als letzte Eskalationsstufe rollierende Abschaltungen von Stromnetzen, sofern sich diese zeitlich auf kurze Phasen von wenigen Stunden beschränken. Stundenweise Abschaltungen von bis zu vier Stunden verursachen keine Schäden an Betriebseinrichtungen. Sofern die Abschaltzeiten bekannt sind, können sich Haushalte ohne gravierende Einschränkungen darauf einrichten und entsprechende Vorkehrungen treffen.

Was bedeuten Strombewirtschaftungsmassnahmen gemäss Bundesrat?

Gestützt auf das Landesversorgungsgesetz (LVG; SR 531) kann der Bundesrat im Falle einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Strommangellage, der die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag, Strombewirtschaftungsmassnahmen einzeln oder kombiniert mittels Verordnung erlassen. Grundsätzlich werden alle Verbraucher gleichbehandelt. Der Bundesrat empfiehlt deshalb allen Unternehmen, sich im Rahmen ihres Risikomanagements bzw. «Business Continuity Managements» auch auf eine Strommangellage angemessen vorzubereiten. Muss der Bundesrat eine Bewirtschaftungsmassnahme verordnen, berücksichtigt er die jeweilige Krisensituation sowie die technischen Möglichkeiten und entscheidet über allfällige Ausnahmeregelungen für bestimmte Verbraucher. Ziel ist es – soweit möglich –, ein geordnetes gesellschaftliches Leben aufrechtzuerhalten, volkswirtschaftliche Schäden zu minimieren und die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherstellen zu können.

Im Fall einer Strommangellage ist der Beitrag jedes Einzelnen entscheidend. Eine Kaskade bzgl. betroffener Endverbraucher ist nicht vorgesehen. Während die Verbrauchseinschränkungen potenziell alle Endkunden (Haushaltskunden, Gewerbe, Verwaltung, Dienstleistungs- und Industrieunternehmen) betreffen können, richtet sich die Kontingentierung nur an Grossverbraucher. Bei Netzabschaltungen sind grundsätzlich ebenfalls alle betroffen. Ausnahmen sind aufgrund der technischen Rahmenbedingungen (Anbindung ans Stromnetz, Netztopologie) nur in Einzelfällen und nur für bestimmte Verbraucher möglich.

Verordnungsentwürfe im Bereich Gas

Der HEV Schweiz machte in seiner Stellungnahme im Rahmen der Konsultation darauf aufmerksam, dass Massnahmen in einem ausgewogenen Rahmen anzustreben sind, welche sowohl die Bevölkerung als auch die Wirtschaft nicht einseitig und übermässig treffen. Im Zusammenhang mit der Berechnung der gegebenenfalls erforderlichen Kontingente wäre es für Vermieter und Verwaltungen hilfreich, wenn auf Bundes- und / oder Kantonsebene ein offizielles Berechnungstool sowie eine Hotline für Fragen geschaffen würden.

Liegenschaften mit Gasanschluss

Der grösste Teil der Schweizer Haushalte ist (aufgrund anderer Heizenergieträger) nicht von diesen (nur für Gas vorgesehenen) Beschränkungen betroffen. Die Verwendungsbeschränkungen haben somit auch eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Komponente, die zu einer gewissen Segregation der Bevölkerung führen kann. Die laut Verordnungsentwurf vorgegebene Maximaltemperatur von 19° C für Innenräume dürfte auch mietrechtlich als angemessen bzw. vertragskonform erachtet werden. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass in mehrgeschossigen Mehrfamilienhäusern oft ein Temperaturgefälle von einigen Grad herrscht, von Parterrewohnungen bis hoch zu den Dachwohnungen. Die Verordnung regelt nicht klar, wer Adressat der Verpflichtung zur Gewährleistung der Innenraumtemperatur von max. 19 Grad Celsius ist: Ist es der Innenraumbenutzer (Mieter, Stockwerkeigentümer) oder ist es der Gebäudeeigentümer bzw. Verwalter? Nach Ansicht des HEV Schweiz muss sich die Verwendungsbeschränkung auf 19° C für Innenräume an die Bewohner bzw. Innenraumbenutzer richten und ist nicht an den Vermieter bzw. Eigentümer zu adressieren.